Erklärung von Jordi Sànchez und Jordi Turull auf dem Gefängnis von Lledoners

Hiermit prangern wir Folgendes an: die Blockade der europäischen Justiz, die uns das Verfassungsgericht Spaniens auferlegt.

Ein zeitnaher Zugang zu den Gerichten ohne unnötige Hindernisse ist ein Recht, das jeder Mensch hat. Wenn nicht zugelassen wird, dass dieses Recht mit vollen Garantien und zu fairen Bedingungen in Anspruch genommen wird, kann das unsere Grundrechte in Frage stellen.

Die vom spanischen Staat im Rahmen des Referendums vom 1. Oktober untersuchte Sachlage zeigt zahlreiche Gefährdungen unserer Grundrechte auf; dazu zählen die Unschuldsvermutung, die Freiheit, politische Rechte und Rechtsstaatlichkeit, sowie das Recht auf ein Gerichtsverfahren mit allen gebührenden Garantien. Die Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte offenbaren sich in vielen der Resolutionen des Obersten Gerichtshofs und des Nationalen Gerichtshofs Spaniens seit dem 16. Oktober 2017, als die erste Untersuchungshaft angeordnet wurde.

Unsere Entschlossenheit, eine faire, rechtmäßige Gerichtsverhandlung einzufordern, ist stärker denn je. Wir haben nicht aufgehört, die Verstöße gegen unsere Rechte anzufechten, die die spanischen Gerichte begangen haben. Heute setzen wir unser Vertrauen in die internationalen Gerichte und insbesondere in den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, um Gerechtigkeit zu erlangen.

Das Verfassungsgericht blockiert jedoch unseren Zugang zur europäischen Justiz. Die Aktion des VGs ist so einfach wie eklatant: 100% unserer eingelegten Berufungen zum verfassungsrechtlichen Schutz der Grundrechte werden zur Bearbeitung angenommen, um aber keine Entscheidung darüber zu treffen.

Nach offiziellen Angaben des VGs selbst liegt die Anzahl an angenommenen Beschwerden zwischen 1% und 1,5% der gesamten eingereichten Berufungen. In unserem Fall werden sie zu 100% angenommen und dann in einer Schublade vergessen. Die spanische Gesetzgebung und die Vorgaben desselben Verfassungsgerichts sehen aber vor, dass die Berufungen gegen die Untersuchungshaft vorrangig behandelt und innerhalb von höchstens 30 Tagen erledigt werden müssen. Die erste Berufung gegen die vom Nationalen Gericht angeordnete Untersuchungshaft, die das Verfassungsgericht angenommen hatte, wurde am 22. November 2017, vor mehr als 365 Tagen eingereicht. Das ist eine ungerechtfertigte Verzögerung, insbesondere wenn wir die Aufzeichnungen anderer vom Verfassungsgerichtshof vorgenommenen schnellen Beschlüsse im Auge behalten, bei denen dieser sogar an einem Wochenende und nur 24 Stunden nach seinem Ersuchen zusammengetreten ist.

Wir fordern ein unparteiisches und fleißiges Verfassungsgericht, das die Ausübung unserer Rechte nicht behindert. Wir prangern die Blockade an, die uns das spanische Verfassungsgericht de facto auferlegt, damit wir keinen rechtzeitigen Zugang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erhalten. Wir bekräftigen unsere Entschlossenheit im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, unsere Verteidigungsrechte vollständig wahrzunehmen. Wir werden niemals unser Recht auf ein faires Gerichtsverfahren aufgeben.

Wir bitten den Verfassungsgerichtshof nicht um eine Sonderbehandlung. Wir akzeptieren jedoch nicht passiv Diskriminierung oder ungerechtfertigten Aufschub. Unser Anliegen ist nicht einmal, dass der Gerichtshof zu unseren Gunsten entscheidet, sondern lediglich, dass die eingelegten Berufungen entsperrt werden (indem sie entweder nicht zugelassen oder abgelehnt werden). Nur so wird uns der Weg zur europäischen Justiz geöffnet. Wir sind uns bewusst, dass die Wiedererlangung unserer Freiheit sich nur weiterhin verzögern wird, bis wir den Zugang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erreichen.

Wir prangern die Blockade der europäischen Justiz, die uns das Verfassungsgericht auferlegt hat, an. Und wir tun dies mit der Kraft und Würde einer politischen Bewegung, die stark in Gewaltlosigkeit verwurzelt ist. Wir werden daher auf eine der wenigen legitimen Protestformen zurückgreifen, die uns die Inhaftierung erlaubt: einen Hungerstreik.

Wir werden es nicht gegen irgendjemanden tun. Wir wollen aber Bewusstsein schaffen und Aktionen fördern, um die Annahme von etwas zu verhindern, dass auf keinen Fall als normal betrachtet werden kann. Die unregelmäßige Funktion des Verfassungsgerichts ist in einem Rechtsstaat ein gravierender Mangel. Und das muss alle Demokraten ansprechen, wie auch immer ihre politischen Sichtweisen sein mögen.

Wir bitten um die Aufmerksamkeit und Unterstützung aller demokratischen Menschen in Katalonien, Spanien, Europa und der Welt. Wir laden dazu ein, die bürgerliche und friedliche Haltung zu bewahren, die uns in diesen Jahren so stark gemacht hat. Wir fordern die “Revolution der Lächeln”[1] auf, durch Veranstaltungen zu blühen, die in Katalonien weiterhin in Form von Zusammenkünften, “Gelbe Abendessen”[2] und Konzerten in den kommenden Tagen und Wochen stattfinden werden. Wir würden uns wünschen, dass die Stimmung und die Feierlichkeiten der Weihnachtszeit durch unseren Hungerstreik in keinster Weise gestört werden.

https://vagadefam.cat/#/denuncia/en

 

[1] Die bürgerliche Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien wurde vor allem vor dem 1. Oktober 2017, aufgrund deren friedliche und feierliche Art, als „Revolution der Lächen“ bezeichnet.

[2] Gelbe Abendessen sind Abendessen zur solidarischen Unterstützung der katalanischen politischen Gefangenen und deren Familien.