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Ausland Separatisten in Spanien

Von einer Entgiftung war man nie weiter entfernt

Kampfansage als Merchandising: Tasse mit den Separatistenführern Jordi Cuixart und Jordi Sànchez und der Flagge Kataloniens Kampfansage als Merchandising: Tasse mit den Separatistenführern Jordi Cuixart und Jordi Sànchez und der Flagge Kataloniens
Kampfansage als Merchandising: Tasse mit den Separatistenführern Jordi Cuixart und Jordi Sànchez und der Flagge Kataloniens
Quelle: etazas.com
Spaniens Regierung begnadigt katalanische Separatisten – und erntet einen Sturm der Entrüstung. Die Entwicklung, glauben Experten, habe sich verselbstständigt. Sollte die EU je ein unabhängiges Schottland anerkennen, dann gebe es auch für Katalonien kein Halten mehr.

Dass einer Versöhnung säen will und Zwietracht erntet, kommt vor, aber selten löst ein Befriedungsangebot eine so wüste Polemik aus wie in diesen Tagen in Spanien: Der Sturm der Anschuldigungen und Beschimpfungen, der dem sozialistischen Regierungschef derzeit entgegenschlägt, ist gewaltig. Wenn all die Unterstellungen wahr wären, so resümierte „El País“ lakonisch, dann gehörte Pedro Sánchez vor ein Strafgericht.

Natürlich geht es wieder mal um den katalanischen Separatismus, kaum ein anderes Thema – weder die afrikanischen Bootsflüchtlinge noch die gigantische Staatsverschuldung – vermag die Gemüter so in Wallungen zu bringen.

Die spanische Regierung, eine Koalition aus der sozialistischen PSOE und der linksalternativen Unidas Podemos, hat Mitte Juni neun Anführer der Unabhängigkeitsbewegung begnadigt, die wegen ihres Versuchs, Katalonien von Spanien abzuspalten, 2019 zu hohen Haftstrafen verurteilt worden waren.

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18.02.2021, Spanien, Barcelona: Ein Paar küsst sich vor brennenden Barrikaden während eines Protests gegen die Verhaftung des Rap-Sängers Pablo Hasél. Ein Gericht hatte den in Spanien für seine teils radikalen Texte bekannten Musiker wegen Beleidigung des Königshauses und der Verherrlichung von Gewalt in seinen Texten zu neun Monaten verurteilt. Zahlreiche Spanier gingen zum dritten Tag in der Folge auf die Straßen und protestierten gegen das Urteil. Foto: Emilio Morenatti/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Straßenschlachten in Spanien

Ein neues Kapitel aufschlagen will Sánchez mit der Begnadigung, für die er Unterstützung in Wirtschaftskreisen fand – und bei der katholischen Kirche. Es sei Zeit, die Gräben zu überwinden und ein neues Miteinander zu finden, erklärte er in Anspielung auf die Transición vor mehr als 40 Jahren.

Die Übergangsphase von der Franco-Diktatur zur Demokratie war geprägt vom Bemühen um Konsens und Ausgleich. Aus Angst, dass eine Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Franquismus das seit dem Bürgerkrieg gespaltene Land weiter entzweien würde, ließ man die Vergangenheit zunächst auf sich beruhen und schaute nach vorn.

Strich drunter, wir reden wieder miteinander – diese Strategie war schon damals nicht problemlos. Und scheint heute fast unmöglich. „Nach Francos Tod 1975 war Konsens das Zauberwort. Denn die Angst vor einer Radikalisierung wie jener, die zum Bürgerkrieg geführt hatte, war gewaltig“, sagt der Historiker Carlos Collado Seidel. Heute dagegen scheine gesellschaftlicher Konsens seinen Zauber verloren zu haben: „Jetzt erleben wir leider eine Zeit ideologischer Konflikte und radikaler Kompromisslosigkeit.“

Die spanische Öffentlichkeit kann Sánchez’ Befriedungsvision wenig abgewinnen: Laut Umfragen ist die Mehrheit dagegen, dass Separatistenführer vorzeitig freikamen. Ausnahme: Katalonien, hier stößt der Gnadenakt überwiegend auf Zustimmung, selbst bei den Gegnern der Unabhängigkeit, immerhin etwa die Hälfte der Bevölkerung. Sie haben die Hoffnung, dass endlich Bewegung in den festgefahrenen Konflikt kommt, der Katalonien so viel Wohlstand, Sicherheit und sozialen Frieden kostet.

Im politischen Madrid ist der Widerstand gegen die Begnadigungen am heftigsten, Sánchez schafft es nicht einmal, alle seine Parteigenossen davon zu überzeugen. PSOE-Patriarch Felipe González, in dessen lange Regierungszeit (1982–1996) die Transición gemündet hatte, warnte seinen Nachfolger etwa davor, sich in eine ausweglose Situation zu manövrieren.

Rechte Opposition ist entsetzt

Blankes Entsetzen zeigt die rechte Opposition, die vereinter denn je und in noch schärferem Ton als ohnehin schon gegen die Regierung Front macht. Die Rechte sieht die Verfassung nun, da eklatante Verfassungsbrecher begnadigt wurden, in großer Gefahr und brandmarkt Sánchez als „Zerstörer Spaniens“. Er, der im Wahlkampf tatsächlich noch Begnadigungen ausgeschlossen hatte, sei ein Lügner, ein Verräter, ein Büttel der „Putschisten“ (womit die Separatisten gemeint sind), zurücktreten solle er, und die ultrarechte Vox bittet die konservative Volkspartei immer wieder, doch endlich ein Misstrauensvotum gegen Sánchez anzustreben.

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Von einer Entgiftung des Konflikts war man nie weiter entfernt. Zumal die Begnadigten alles tun, um Sánchez’ Versöhnungsprojekt wie einen frommen Irrtum aussehen zu lassen. Von Dankbarkeit keine Spur, erst recht nicht von Reue. „Ho tornarem a fer“, hatte Jordi Cuixart vom nationalistischen Verein Òmnium vor Gericht gesagt und wiederholt es zum Entzücken seiner Bewegung nun in Freiheit: „Wir werden es wieder tun.“ Keine Begnadigung, deklamierte er mit dem üblichen Independentista-Pathos bei einer Kundgebung am Donnerstag in Barcelona, könne „die Stimme des katalanischen Volkes zum Schweigen bringen“.

Spanien darf nicht zerbrechen: Demonstration gegen die Begnadigungen der Separatisten im Juni in Madrid
Spanien darf nicht zerbrechen: Demonstration gegen die Begnadigungen der Separatisten im Juni in Madrid
Quelle: AP

Zwar ist allen Begnadigten weiter verboten, politische Ämter zu bekleiden, zwar gab es am Dienstag ein erstes Arbeitstreffen von Sánchez mit dem katalanischen Regionalpräsidenten Pere Aragonès, zwar soll der Dialog ab September fortgesetzt und institutionalisiert werden. Aber nach Versöhnung sieht es noch lange nicht aus.

Aragonès jedenfalls ließ keinen Zweifel: Er will statt Begnadigungen eine Amnestie, die auch für die ins Ausland geflohenen Separatistenführer gilt. Und natürlich ein Referendum über die Unabhängigkeit. Das aber lässt die Verfassung nicht zu. Gut möglich also, dass die beiden Dialogpartner sich letztlich nicht allzu viel zu sagen haben.

Warum aber hat Sánchez dann beschlossen, diesen ihn so in Misskredit bringenden Schritt auf die Separatisten zuzugehen? Weil er sie braucht, sagen seine Kritiker. Seine Minderheitsregierung ist auf die Stimmen der nationalistischen Parteien aus dem Baskenland und Katalonien angewiesen – und nicht nur die Zeitung „El Mundo“ wirft Sánchez nun vor, sich zur „Geisel“ der Katalanisten gemacht zu haben.

Ein anderer Beweggrund mag die Kritik aus den europäischen Nachbarländern sein, die Sánchez, der sein Spanien so gern zu Europas Avantgarde zählen möchte, gar nicht recht sein kann. Erst Anfang Juni hat der Europarat das Vorgehen der spanischen Justiz gegen die Separatisten gerügt. Und keines der Länder, in die katalanische Politiker geflohen sind, hat sie an Madrid ausgeliefert. Die im Ausland gängige Ansicht, dass man die Katalonien-Krise politisch und nicht allein mit den Mitteln der Justiz lösen müsse, hat Sánchez sich nun zu eigen gemacht.

Jetzt hat Brüssel das Wort

„Offenbar glaubt Sánchez an eine historische Mission“, vermutet Collado Seidel. „Er versucht, diesen ideologischen Konflikt einzudämmen – das ist durchaus staatsmännisch.“ Einen Erfolg kann sich der Historiker, der eine Geschichte Kataloniens geschrieben hat, jedoch kaum vorstellen. Vielleicht gelinge eine Annäherung, wenn die Katalanen das von ihnen seit Langem geforderte Recht bekämen, ihre Steuereinnahmen selbst zu verwalten.

Doch vermutlich sei die Zeit vorbei, da solche Privilegien als Befriedungsstrategie dienen konnten: „Mittlerweile sind Generationen nachgewachsen, die sich ausschließlich als Katalanen verstehen. Spanien ist für sie kein Referenzpunkt mehr.“ Das entscheidende Wort, glaubt Collado Seidel, habe Brüssel. Und sollte die EU je ein unabhängiges Schottland anerkennen, dann gebe es für den katalanischen Nationalismus wohl kein Halten mehr.

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