Diktatur-Aufarbeitung in Spanien: "Das ist für Sie in Deutschland sicher unbegreiflich"

Pep Cruanyes spricht vor der ehemaligen Folterzentrale der Diktatur und fordert die Umwandlung in Gedenkstätte und erinnert an Opfer. Bild: Ralf Streck

Spanische Regierung plant "Gesetz der demokratischen Erinnerung" an Opfer der Franco-Diktatur; die Probleme Straffreiheit und Entschädigungen bleiben. Interview mit Josep Cruanyes

Der Anwalt und Historiker Josep Cruanyes war Präsident der "Katalanischen Gesellschaft für Juristische Studien" und früherer Präsident der "Kommission der Würde".

Die spanische Regierung will mit einem neuen Gesetz das Andenken an Opfer der Franco-Diktatur wiederherstellen. Wie bewerten Sie den Entwurf für das "Gesetz der demokratischen Erinnerung", der nun das Kabinett passiert hat?

Josep Cruanyes: Es basiert auf einem vorhergehenden von der sozialistischen Zapatero-Regierung. Es fügt Aspekte hinzu, aber grundsätzlich Aspekte bleiben weiter unberührt. So nimmt man zwar offiziell als Basis das Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung der Vereinten Nationen, geht das aber real nicht an. Man bleibt symbolisch.

Das ist für Sie in vermutlich in Deutschland sicher unbegreiflich. An der Straffreiheit wird nichts geändert, es soll keinerlei Entschädigungen geben, auch geraubte Güter sollen weiterhin nicht zurückgegeben werden. Bisher wurden nur Parteien und Gewerkschaften für den Raub ihres Vermögens entschädigt.

Schon im vorgehenden Gesetz von der Zapatero-Regierung wurde für meine Begriffe etwas Schreckliches bestimmt. So konnten Angehörige von Opfern, die zwischen dem 1. Januar 1968 und dem 6. Oktober 1977 im Rahmen der Verteidigung der Demokratie ums Leben kamen, mit bis zu 135.000 Euro entschädigt werden. Allerdings die, die zwischen dem Putsch 1936 bis 1968 ermordet wurden, nur mit höchstens 9.000 Euro.

Ich will jetzt nicht sagen, dass die eine oder andere Summe gerechtfertigt ist, aber welchen Sinn hat diese Unterscheidung der Opfer? Das kann man als Diskriminierung oder als Verspottung der Mehrzahl der Opfer auffassen. Im Fall der Mehrheit hatte zudem nur der Ehemann oder die Ehefrau ein Recht darauf, die Entschädigung zu erhalten. Die waren meist aber längst gestorben. Es wurden also Bedingungen geschaffen, die praktisch niemand erfüllen konnte.

"Es wird weiter mit falschen Konzepten gespielt"

Was bedeutet es dann, wenn in dem Gesetzesentwurf die Gerichte der Franco-Diktatur als "illegitim" bezeichnet werden, die die Unrechtsurteile gefällt haben?

Pep Cruanyes. Bild: Ralf Streck

Josep Cruanyes: Es wird weiter mit falschen Konzepten gespielt. Die Gerichte waren nicht illegitim, sondern illegal. Doch man weigert sich in Madrid weiter, dies auch so zu benennen. Die Unrechtsurteile werden deshalb auch nicht annulliert. Die Betroffenen sollen nur ein Dokument der Regierung mit einer persönlichen Anerkennung erhalten.

Das bedeutet eigentlich real nichts. Andererseits wird klar ausgeführt, dass die Betroffenen kein Recht auf eine Entschädigung durch den Staat erhalten können.

Die Angehörigen der Opfer wollen meist keine finanzielle Entschädigung, aber das in einem Gesetz festzuschreiben, ist schon auffällig. Am Beispiel Carme Ballester, die Witwe des ermordeten katalanischen Regierungschefs Lluis Companys, ergab es sich, dass sie in ihren letzten Lebensjahren bis 1972 eine Rente aus Deutschland erhielt. Denn es war die Gestapo, die ihn an Spanien ausgeliefert hatte. Aber sie bekam nie etwas aus Spanien. Das markiert einen klaren Unterschied.

Im katalanischen Parlament wurde schon 2017 ein Gesetz verabschiedet, in dem festgehalten ist, dass diese Gerichte und die Repression über sie ab 1936 von denen aufgebaut wurden, die gegen die Republik geputscht haben.

Diese Gerichte wurden illegal konstituiert, da dafür in Katalonien allein die katalanische Regierung die Kompetenzen hatte. Deshalb waren auch alle Verfahren und Urteile dort illegal. Dieser Verantwortlichkeit versucht man in Madrid weiter aus dem Weg zu gehen.

Fortschritt mit Einschränkungen in der Frage der Massengräber

Sehen Sie einen substanziellen Fortschritt in dem Gesetz im Vergleich zu Zapatero-Gesetz aus dem Jahr 2007?

Josep Cruanyes: Achtung, das ist bisher nur ein Entwurf. Was verabschiedet wird, steht auf einem anderen Blatt. Wir haben gesehen, wie der Entwurf von Zapatero weiter verwässert wurde. Bisher gibt es einige reale Fortschritte. Es werden nun Vorgänge konkretisiert, die im vorherigen Gesetz zwar vorgesehen, aber nicht konkretisiert waren. Fortschritt gibt es, nur mit Einschränkungen, in der Frage der Massengräber. Definiert wird nun, dass es die Aufgabe des Staates ist, die Öffnung vorzunehmen und sie zu bezahlen.

Die hatten diverse Autonomiegebiete wie Katalonien, das Baskenland oder Valencia längst übernommen. Bekommen die ihre bisher geleisteten Ausgaben erstattet? Bleibt das die jeweilige Aufgabe der Regionalregierung? Können sich also von der rechten Volkspartei (PP) regierte Regionen wie Madrid weiter weigern, Massengräber auszuheben? Das ist bisher unklar und kann zu Konflikten führen.

Die Franco-Stiftung

Wird die Franco-Stiftung und andere verboten, welche die Diktatur verherrlichen, wie in Medien berichtet wird?

Josep Cruanyes: Tatsächlich wird nur von der Auflösung von Stiftungen gesprochen, deren Ziel die Verherrlichung Francos, den Putsch oder der Diktatur ist. Und das soll auch nicht automatisch geschehen, sondern nach einem Verfahren. Es kann also herauskommen, dass ein Richter in deren Vorgehen keine Verherrlichung sieht.

Ausgeführt wird, dass eine spezielle Staatsanwaltschaft für die Verbrechen des Franquismus aufgebaut werden soll. Bedeutet das nun das Ende der Straflosigkeit?

Josep Cruanyes: Es wird eine Staatsanwaltschaft für Nichts aufgebaut. Sie ist nur symbolisch, sie kann keine Verfahren wegen der Verbrechen einleiten. Es leben sogar noch Folterer aus der Franco-Zeit, die weiter nicht belangt werden sollen.

Noch merkwürdiger ist, dass heute noch Innenminister Fernando Grande-Marlaska ist. In acht Fällen, in denen Spanien wegen Folter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt wurde, war er der Ermittlungsrichter und hat die Vorgänge nicht ermittelt.

Ich weiß auch nicht, warum ein Staatsanwalt die Öffnung von Massengräbern kontrollieren soll, wenn die Täter nicht ermittelt werden sollen. Am Amnestiegesetz soll auch weiterhin nicht gerüttelt werden. Dabei ist über das Völkerrecht längst geklärt, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht amnestiert werden können, die auch nie verjähren.

Und Spanien hat die entsprechenden Vereinbarungen wie den UN-Sozialpakt ratifiziert. Das geschah sogar noch bevor die Verbrechen amnestiert wurden. Spanien findet gerne Ausreden, warum internationale Vereinbarungen nicht umgesetzt werden.

Nicht alle Institutionen haben demokratische Prinzipien verinnerlicht

Im Zapatero-Gesetz aus dem Jahr 2007 wurden nach den Verwässerungen Opfer beider Lager gleichgesetzt, also die Putschisten mit den Verteidigern der Republik. In Madrid wurden auf Basis dieses Gesetzes Straßennamen von Sozialisten beseitigt, dabei war eigentlich das Ziel, die Namen der Franquisten und Putschisten aus dem Stadtbild zu beseitigen. Wo deren Namen getilgt wurden, werden sie auf Entscheidung der Justiz nun wieder zurückbenannt. Werden solche Auswüchse mit dem neuen Gesetz beseitigt?

Josep Cruanyes: Hier werden Grundlagen nicht beachtet, dass die Politik und die Gesetze darauf ausgerichtet sein sollen, dass sich Vorgänge wie damals nicht wiederholen können. Doch nicht alle Institutionen im Staat haben demokratische Prinzipien verinnerlicht. Für mich ist unbegreiflich, dass ein Gesetz, das schon explizit die Beseitigung der Symbole des Franquismus vorsieht, nun so von der Justiz interpretiert werden kann.

Das zeigt, dass einiges hier nicht funktioniert. Zumal viele franquistische Symbole weiterhin auch nicht beseitigt wurden. Auch dabei haben Urteile der Justiz beigetragen, um das zu verhindern. Das wirft uns auf ganz grundlegende Fragen zurück und so lange es daran keine Veränderung gibt, kann man viele Gesetze verabschieden.

Im vergangenen Herbst, 80 Jahre nach der Folterung und Erschießung des katalanischen Regierungschefs Lluis Companys durch die Putschisten, wurde ein erster Stolperstein zum Andenken an ihn im Barcelona verlegt. Ist das auch in Katalonien noch immer schwierig hier, an die Opfer der Franquisten zu erinnern?

Josep Cruanyes: Ja. Auch das dürfte Sie in Deutschland überraschen. Bis ins Jahr 1996, also gar nicht so lange her, hatte man nicht einmal Einblick in die Urteile der Kriegsgerichte. Nicht einmal das Urteil gegen den Präsidenten konnte ich einsehen. Erst nach etlichen Einsprüchen wurde das 1996 möglich. Bei den vielen Menschen, die vor Standgerichte gestellt wurden, war das noch viel schwieriger.

Die Familien hatten noch länger keinen Einblick. Das war eine absurde Situation. Im Fall von Companys wurde die Verweigerung damit erklärt, dass "Persönlichkeiten" davon betroffen sein könnten. Es wurden also die geschützt, die an den Vorgängen beteiligt waren, die zu seiner Ermordung führten. Die Rechte der Opfer und der Angehörigen wurden ignoriert.

Stolpersteine

Wieso ist es auch in Barcelona so schwer, mit einer progressiven Bürgermeisterin Ada Colau, Stolpersteine zu verlegen? Es hat mehr als fünf Jahre gedauert, um den ersten zu verlegen.

Josep Cruanyes: Ich kann das nicht erklären. Mich verwundert die Argumentation aus dem Rathaus. Dort wurde der Stolperstein für Companys als "Ausnahme" genehmigt. Dabei gibt es nichts zu genehmigen, wenn an Faschismusopfer erinnert werden soll. Das ist eine Entscheidung der Angehörigen oder privaten Initiativen, die das tun wollen. Bestenfalls ist das ein formaler Akt, in dem der Inhalt nicht gewürdigt wird.

Es ist absurd und eine sehr merkwürdige Haltung der Verwaltung, die auch von einem Geschäft des Künstlers spricht. Man hat offenbar Angst, dass viele Steine verlegt werden, weil es auch viele Opfer gab. Als ich vor etlichen Jahren in Berlin war, sah ich erstmals diese Stolpersteine. Sie erklären sich von selbst, niemand musste mir erklären, dass jeweils hier eine oder mehrere Opfer der Nazis gelebt hatten. Damit wird einem die Dimension der Unterdrückung deutlich.

"Es gab nie einen wirklichen Bruch mit dem Franco-Regime"

Wie erklären Sie sich all diese Vorgänge?

Josep Cruanyes: Es gab nie einen wirklichen Bruch mit dem Franco-Regime. Ich erinnere mich zum Beispiel auch an eine Pressekonferenz im Jahr 2008 vor der Polizeikaserne in Barcelona in der Via Laietana, wohin Verhaftete verschleppt und gefoltert wurden.

Bis heute fordern wird, dass das Gebäude in ein Zentrum zur Erinnerung an die Opfer der Repression umgewandelt wird. Dagegen protestiert sogar die Gewerkschaft der Nationalpolizei, die sich ganz offensichtlich als Nachfolger derer sieht, die dort in der Diktatur agiert haben. Es ist wohl kaum vorstellbar, dass eine Polizeigewerkschaft in Deutschland sich so verhalten würde.